Über Katerina Poladjan


Katerina Poladjan, geboren  1971 in Moskau, stammt aus einer Künstlerfamilie. Sie kam Ende der 1970er Jahre nach Deutschland; war Schauspielerin und ist Schriftstellerin, schreibt Essays, Romane und Theatertexte. Ausgezeichnet wurde sie 2014 mit dem Alfred-Döblin-Stipendium der Berliner Akademie der Künste.
Im Jahr 2011 erschien der erste Roman In einer Nacht, woanders, der sogleich die für Poladjans Ästhetik elementare Verschränkung von Raum und Zeit zum Kompositionsprinzip macht: Mascha, die in Berlin lebt, soll im winterlichen Russland das Haus ihrer verstorbenen Großmutter verkaufen, begibt sich auf eine Reise in die verstörende Vergangenheit ihrer Familie,  zugleich eine Erkundung ihrer eigenen Heimatlosigkeit.  Ein Reiseroman ist wiederum Vielleicht Marseille (2015), diesmal jedoch zugleich ein Experiment mit dem Kriminalschema – immerhin ist Jean Luc Gaspard der Protagonist, Kommissar in Marseille, vor einer Beförderung zu Europol in Den Haag, doch voller Zweifel an seinem Leben, das denn auch bei einer Dienstreise nach Salzburg aus den Fugen gerät; die Faszination vom Neuen, dem Ausbruch ins Unbekannte erzwingt freilich – in Marseille – bei allen Figuren die Konfrontation mit dem Verdrängt-Bekannten, mit ihrer Geschichte. Die Kritik hob die Analogie zum filmischen Erzählen der Nouvelle Vague eines Jean Luc Godard hervor, wie sie schon   der   Name   des   Roman-Kommissars   nahelegt.   –Während   der   literarische Reisebericht Hinter Sibirien. Eine Reise in den Russischen Fernen Osten (2016), den Poladjan gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Autor und Regisseur Henning Fritsch schrieb, gleichsam den Rahmen des Genres sichert, variiert der Roman Hier sind Löwen, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war, eben dieses Genre ‚Reisebericht‘ neuerlich und stellt es in die abermals veränderte Konstellation der Beschreibungsskepsis. Geschildert wird die Erkundungsreise der Buchrestauratorin Helene Mazavian, die in Deutschland lebt, in das Land ihrer Vorfahren, Armenien, auf den Spuren jenes Völkermords, dem damals – so die Binnengeschichte - zwei Kinder, eines davon ihr Großvater, entkommen sind. Einmal mehr bestätigt der Text die Kunst der Leerstelle in Poladjans Erzählen, den Verzicht auf eine geschlossene   Geschichte,   eine   fragmentarische   Perspektive,   die   eben   deshalb   das Unbegreiflich des historischen Geschehens erfahrbar macht. - Mit ihrem aktuellen Roman Zukunftsmusik versteht sie es abermals, anhand ihrer eigenen Geschichte in die Historie eines Landes zu führen. Es ist freilich mehr als eine der in der Literatur der Migration häufigen Wende zum Herkunftsland. Führt dieser Roman doch zum 11. März 1985, einem Tag, an dem ein großes Aufatmen, die Ära Gorbatschow begann – ein Moment der Hoffnung, die für uns alle jetzt fast schon der Vergangenheit verschollen ist und doch nicht verloren gehen darf. Und wieder gelingt es Poladjan, die Realitässuggestion des Erzählens zu brechen und zu reflektieren als eine Suche nach einer Sprache, die in der Vergangenheit eine Spur der Zukunft entdeckt. – Katerian Poladjan wird am 23. September 2022 den Chamisso-Preis in Dresden entgegennehmen.